PFA 1.1 | Talquerung mit Hauptbahnhof
Bezug - Das Projektmagazin | September 2015 | Serie: Berufene Ingenieure
Michael Pradel
hat einen anspruchsvollen Job. Er muss unter anderem dafür sorgen, dass beim neuen Tiefbahnhof die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Wobei es dem Ingenieur aus Brandenburg zupass kommt, dass er sich mit Rudern ganz gut auskennt. 1990 ist er in der letzten DDR-Nationalmannschaft in dieser Disziplin gestartet, ein Jahr später pflügte er für die erste gesamtdeutsche Juniorennationalmannschaft durchs Wasser. Lange her. Jetzt hat der Ingenieur eine neue Aufgabe, und was für eine: In Diensten der Deutschen Bahn kümmert sich Michael Pradel um den Planfeststellungsabschnitt 1.1 und ist damit im Zentrum des Geschehens.
Sein Revier umfasst die Querung des Stuttgarter Talkessels und mit dem neuen Stuttgarter Hauptbahnhof auch eines der herausragenden Bauwerke des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm. Bange ist dem Ostdeutschen dabei nicht, zumal er sich durch seinen Sport charakterlich gestählt weiß. "Ein olympisches Finale zu gewinnen bedarf einer sehr genauen Vorbereitung, es bedarf der Zielstrebigkeit und es bedarf eines guten Teams", sagt Michael Pradel und fügt hinzu: "Unser Team, das hier am neuen Durchgangsbahnhof arbeitet, bringt diese Eigenschaften mit. Wir werden die uns gestellte Aufgabe zu hundert Prozent erfüllen." An Selbstsicherheit fehlt es dem Mann mit dem bestens sitzenden Anzug und der Randlos-Brille nicht. Zupackend wirkt er und zuversichtlich. Pradel ist ein Macher, einer, der weiß, wo er herkommt und vor allem, wo er hin will.
1973 in Brandenburg an der Hafel geboren, wuchs Michael Pradel in der früheren DDR auf. Die Mutter war alleinerziehend und arbeitete als Lehrerin für Biologie und Chemie. Der Sohn wurde vor der Wende in der Kinder- und Jugendsportschule in Berlin sozialisiert, wo er seinem Sport nachgehen konnte. Bei der goldenen Hochzeit des Großvaters bekam er einen guten Ratschlag von einem Freund der Familie: "Werde Bauingenieur. Da kriegst du leicht einen Job und vielleicht auch einen Dienstwagen." Pradel folgte dem Rat, studierte in Berlin und schloss 1999 als Diplom-Bauingenieur ab. Der Sport, so hatte er erkannt, war zwar seine große Leidenschaft, ernähren aber würde ihn das Hochleistungsrudern nicht.
Seine erste Stelle trat er bei der Walter Bau AG in Berlin an, wo er sich gleich am Neubau einer Werkhalle versuchen konnte und wenig später mit einem prestigeträchtigen Projekt betraut wurde, dem Bau des Multiplexkinos "Cubix" am Alexanderplatz. "Ich habe meinen ersten Arbeitstag im Alter von 25 Jahren bestritten", sagt Pradel. "Das war immer mein Ziel gewesen." 2002 wechselte der Ingenieur die Stelle und wurde Projektleiter bei der Züblin AG in Stuttgart. Sein erster Kontakt mit der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Die ersten Monate verbrachte er in der Kalkulationsabteilung bei den Schwaben, danach ging es nach Erfurt, wo er hinter dem Dom den Bau eines 3,5 Millionen Euro teuren Bürogebäudes betreute, was er offensichtlich gut managte. Fortan warteten größere Aufgaben auf den Ingenieur. Die Fima schickte ihn nach Holland. Züblin hatte in Zusammenarbeit mit der Walter-Bau AG und einen niederländischen Konzern den Auftrag erhalten, für eine Summe von rund 250 Millionen Euro eine neue U-Bahnstation in Rotterdam zu bauen, verbunden mit einem 2,3 Kilometer langen, zweiröhrigen Schildvortriebstunnel. Das Werk war ingenieurtechnisch anspruchsvoll: "Die Wasserverhältnisse in Rotterdam sind herausfordernd", sagt Pradel, "denn nur ein Meter unter Geländeoberkante steht dort das Grundwasser. Die U- Bahnstation war zu diesem Zeitpunkt die tiefste U- Bahnstation der Niederlande mit deutlich über 20 Meter Tiefe und hat dann zusätzlich durch die gesamte Station ein freies Lichtraumprofil." Das Werk gelang und bekam am Ende den Architekturpreis der Stadt Rotterdam, was den damaligen Projektleiter bis heute mit Stolz erfüllt.
Pradel blieb für den Neubau des Hochhauskomplexes "De Rotterdam" in der Stadt und kümmerte sich um das 170 Millionen Euro teure Vorhaben, anschließend wechselte er nach Berlin, um ein Teilstück der neuen Autobahn A 100 zu betreuen. Schließlich folgte er in diesem Jahr dem Ruf der Deutschen Bahn, um sein größtes Werk anzugehen, den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof. "Die Olympischen Spiele habe ich zwar in meinem Sport nicht erreicht", sagt er über seine Motivation, nach Schwaben zu wechseln. "Für mich ist Stuttgart 21 das Nachholen meines sportlichen Ehrgeizes, für mich ist dieses Projekt der berufliche Olymp."
Dabei ist Pradel durchaus bewusst, dass er in Stuttgart nicht nur als versierter Ingenieur gefordert ist, sondern jenseits der Baupläne auch als Moderator und Erklärer. "Ich möchte gerne dazu beitragen, dass dieses Bauprojekt in der Öffentlichkeit auch die Anerkennung erfährt, die es verdient hat. Wir haben eine herausragende Architektur und wir haben eine tolle Technik, die wir hier einsetzen. Grade für uns, als Deutsche Bahn, ist dieser Bahnhof eines der renommiertesten und wichtigsten Projekte für die nächsten Jahre." Der Projektleiter vertraut ähnlich wie beim Rudern auf eine Mannschaft, die im Takt arbeitet.
"Ich habe hier ein gutes Projektteam, das mich unterstütztund sehr genau weiß, was zu tun ist." Auch wenn es sicher noch das eine oder andere Problem zu lösen gebe und die eine oder Herausforderung auf die Ingenieure zukomme, sieht Pradel "keine Gefahr, dass wir das nicht packen". Seine besondere Aufmerksamkeit gilt nicht zuletzt dem Lärmschutz, der viele rund um dieBaustelle betrifft. "Die Maßnahmen, die wir ergreifen, um die Bevölkerung vor Lärm zu schützen, gehen an das, was technisch machbar ist, absolut heran", sagt er. "Ich versuche den Menschen in Gesprächen zu erklären, was wir tun und ihnen auf diese Weise ein Stück weit die Angst zu nehmen." Dabei kommen ihm seine Erfahrungen in den Niederlanden zupass. Dort habe er sich "die nötige Ruhe und Gelassenheit antrainiert, die es für solche Situationen braucht".
Wenn er am Wochenende nicht in Stuttgart gebraucht wird, steigt der Projektleiter in Echterdingen ins Flugzeug, um nach Hause an die Havel zu fliegen, wo seine Frau und die beiden Söhne leben. "Meine Hauptenergiequelle ist sicherlich meine Familie, mein Haus in Werder an der Havel und mein Garten." Die beiden Kinder, sechs und neun Jahre alt, sind Eisenbahn-Fans. "Mein großer Sohn war im Alter von sechs Jahren in der Lage, alle Berliner S- Bahnstationen nacheinander in der richtigen Reihenfolge aufzuzählen. Wenn man ihm eine Station gesagt hat, konnte er die davor und die dahinter liegende Station nennen", erzählt der Vater nicht ohne Stolz. Die beiden Jungs freuen sich darauf, demnächst die Baustelle in Stuttgart zu besuchen.